Merkel & Seehofer: Der narrative Supergau der Unionsparteien
Die Kunst der politischen Erzählung ist eine alte. Es reicht nicht aus, gute Regierungspolitik zu machen, sondern man muss Heldengeschichten erzählen. Eigentlich beherrschen die Konservativen diese Kunst besser als jeder andere politische Partei. Aber dieser Tage haben sich Seehofer und Merkel samt ihrer Parteien in den narrativen Supergau manövriert. – Eine germanistische Strategieanalyse.
Erfolgreiche Regierungskommunikation beschränkt sich nicht auf das Aneinanderreihen von politischen Erfolgsmeldungen. Wer immerzu behauptet, alles richtig gemacht zu haben, der macht sich schnell verdächtig. Wer keine Herausforderungen benennt, wird schnell als handlungsschwach wahrgenommen. Darum gehört es zum Geschäft der Regierungsarbeit, immerzu neue Bedrohungen aufzubauschen, nur, um sie dann mit aller Kraft zu lösen. Damit folgt die Politik den gleichen erzählerischen Mustern, wie alle Heldengeschichten. Es gibt ein Monster, das ist so schrecklich, wie kein Monster davor und dennoch zieht ein Ritter los und besiegt es. So werden Helden gemacht.
Die Monster der letzten Jahre kennen wir alle. Die Finanzmarktkrise und die bösen Banken waren schreckliche Drachen, gegen die Merkel & Steinbrück zu Felde zogen. Der Konjunkturabschwung war es, gegen den nur die schwarz-rote Wunderwaffe Abwrackprämie erfolgreich war. Die Griechenlandkrise war ein schreckliches Ungeheuer, gegen das Merkel und Schäuble kämpften. All diese Schlachten wurden geschlagen und stets kehren die mutigen Krieger als Helden heim. Merkel wurde immer beliebter, Schäuble wurde immer beliebter und bevor er sich als glückloser Kanzlerkandidat versuchte, war Peer Steinbrück so beliebt wie nie – echte Helden eben. Weder die Banken wurden reguliert, noch die Griechen gerettet, aber die Probleme wurde aus der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt und damit scheinbar gelöst. Das Monster war tot. So kann man auch Held werden, wenn man im Grunde nichts erreicht hat.
Manches Schreckenswesen, gegen das man antritt, muss man aber auch zuerst selbst erfinden, wenn kein echtes Monster in der Nähe ist. Der Terror ist ein beliebter Gegner, den man mit ein paar seltsamen Sprüchen auf einer Pressekonferenz wie „Teile meiner Antwort könnten Sie verunsichern“ beschwören kann, wann immer man ihn braucht. Dann präsentiert man mehr Überwachung als Wunderwaffe und weil das Thema so schnell von der Agenda verschwindet, scheint es auch gleich gelöst.
Die Wähler verhalten sich angesichts dieser Heldengeschichten ganz so, wie die Damen in den Liedern der mittelalterlichen hohen Minne. Sie hören die Werbung der Parteien und fordern dazu auf, zuerst ein Ungeheuer zu bezwingen, bevor sie sich in Liebe hingeben. So zieht die Politik los und erschlägt ein Monster nach dem anderen, kehrt heim und lässt sich bejubeln. Doch leider verschmähen die Wähler, genau wie die Damen, nach dem Jubel die erfolgreichen Helden. Die dauerhafte Liebe bleibt immer unerfüllt und so schreibt sich Politik in der Demokratie immerfort und bleibt nie stehen.
Seehofers Wunderwaffe ist Merkels Drache
Alles lief gut im Königreich Bayern. Horst Seehofer freite wie eh und je um die Dame Wählerschaft und bot ihr an, irgendein Ungeheuer zu besiegen. Mal waren es die Osteuropäer zur Europawahl, davor die mautfrei fahrenden Österreicher zur Landtagswahl. Stets kämpfte er in einem aussichtslosen Kampf, gewann scheinbar eine Etappe und hoffte dann, die Öffentlichkeit möge nur nicht allzu oft nachfragen, ob er und seine Partei echte Ergebnisse erzielt haben. So gefällt das der CSU.
Weil aber die Dame Wählerschaft nie durch einen Sieg befriedigt werden kann, muss stets und immer ein neues Monster gefunden werden. Natürlich muss dieses Monster das größte Monster aller Zeiten sein und so blickte sich Seehofer um, und fand es auch alsbald in den ankommenden Flüchtlingen. Menschen aus fremden Ländern sind erzählerisch betrachtet ein gefundenes Fressen für einen Helden, der sich beweisen will. Für viele Menschen wirken sie bedrohlich und sie scheinen die Beschaulichkeit des eigenen Lebens zu gefährden. Also beschwor Seehofer die Krise als größte Krise der Nachkriegszeit. Er setzte bewusst darauf, die eigenen Erfolge klein zu reden. Möglichst wenig sollte in die Öffentlichkeit dringen von der erfolgreichen Arbeit der bayerischen Kommunen, Landkreise und Landesbehörden bei der Versorgung und Verteilung der Flüchtlinge. Niemand sollte erfahren, dass man wohl organisiert war und alles schaffte. Denn wer will schon einen Helden loben, der eine Herausforderung meistert, bevor überhaupt das Monster seinen Auftritt haben konnte.
Seehofers Monster wurde größer und größer. Mit jedem Tag, da das Monster wuchs, wuchs auch die Beliebtheit von Horst Seehofer. Denn er benannte ein Monster, das viele fürchten und machte es so groß, dass man schon ein echter Held sein muss, um es überhaupt zu wagen, gegen dieses Monster anzutreten. Weil das Monster aber in seiner Erzählung so groß geworden war, wie einst die weltweite Finanzkrise – oder vielleicht noch größer – kommt auch der Held Horst nicht mehr ohne Wunderwaffe aus.
Genau in diesem Moment machte er den einen erzählerischen Fehler, der die Unionsparteien nun in eine echte Krise stürzt. Er benannte die Zauberwaffe Obergrenze. Dummerweise war aber eben jene Zauberwaffe des Helden Horst aus Bayern, der Drache, den Angela Merkel selbst zu besiegen ausgezogen war. Sie hatte die Geschichte genau andersherum eingefädelt. Ihr Drache ist der Untergang des Europas der offenen Grenzen und des Europas der Menschlichkeit. Sie kämpft gegen den Drachen Orban und den Drachen Duda, die Europas Grenzen schließen oder Griechenland aus Schengen drängen wollen.
Erzählerisch ist das der Supergau für zwei Helden, die nebeneinander erfolgreich sein wollen, weil sie zu einer Parteienfamilie gehören. Die Zauberwaffe des einen, ist das Monster der anderen. Aus solch einem Patt kommt man kaum heraus. Darum flehte Seehofer inständig in Wildbad Kreuth, Merkel solle ihn endlich das Monster Flüchtlingszustrom mit der Zauberwaffe Obergrenze erschlagen lassen und doch Merkel konnte und kann ihm diese Waffe nicht geben, weil sie dann durch den eigenen Drachen besiegt würde.
Das Ungeschickte an einer Zauberwaffe ist, dass man sie unterwegs nicht tauschen kann. Hat man sie erst zu einer solchen erklärt, kann man kaum vermitteln, warum diese nun verzichtbar ist. So ist Horst Seehofers Schicksal an die Obergrenze gebunden, genau wie Angela Merkel, die eben jene Obergrenze zum Drachen machte.
Merkel oder Seehofer – keiner kann leben, solange der andere überlebt
Es ist wie bei Harry Potter und Lord Voldemort. Keiner kann leben, solange der andere überlebt. Merkel muss ihren Drachen besiegen, der die Zauberwaffe Seehofers ist und Seehofer muss sein Monster erschlagen mit der Waffe, die der Drache Merkels ist. Unweigerlich führt dies zu einem großen Aufeinandertreffen zweier Erzählungen und am Ende kann es in dieser Geschichte, in der die beiden Erzählungen nun verwoben sind, nur noch einen Helden geben: Merkel oder Seehofer – beide können nicht gewinnen.