Lokale Demokratie vor Ort wieder sichtbar machen – Analyse & Lösungsvorschlag
Kommunalpolitik kommt ihrem Ende immer näher. Nicht, weil sie nichts mehr zu entscheiden hat, sondern weil niemand etwas von ihr mitbekommen kann. Der Grund dafür ist das Zeitungssterben. Immer weniger Menschen abonnieren eine lokale Tageszeitung. Lokalredaktionen werden geschlossen, ganze Gebiete in Deutschland haben niemanden mehr, der noch berichtet.
Wenn es keine Quellen mehr gibt
Es ist eine bezeichnende Szene, die ich bei Freunden miterlebe. Der Vater, ein Politiker, fragt seinen Teenager-Sohn, „wie bekommst Du eigentlich was von Politik mit“ und der antwortet „Freunde & Fahrgastfernsehen“. Dieser junge Mann gehört zu den sehr gut informierten. Natürlich bekommt er in seinem Elternhaus viel über Politik mit, versteht Zusammenhänge und weiß wahrscheinlich besser über seine Stadt bescheid, als der allergrößte Teil der sonstigen Einwohnerinnen und Einwohner. Allerdings ist seine Quellenlage diffus. Keine Zeitung, keine bestimmte Nachrichtensendung, sondern schlicht eine Informationsquelle, die an der Decke eines U-Bahn-Wagens hängt und sich in einem Moment der Langeweile als willkommene Abwechslung präsentiert, weil sich auf ihrem Bildschirm etwas bewegt und Informationen in kleinen Häppchen präsentiert werden.
Die Frage des Vaters wurde ausgelöst durch seinen Bericht, dass ein lokaler Radiosender seine Nachrichtenredaktion schließen muss, weil die Hörerzahl beständig zurück geht. Weniger Hörer bedeuten weniger Werbeeinnahmen und weniger Einnahmen zwingen zu harten Einsparungen. Gegen alternative Musikmedien wie Spotify hat das Radio langfristig keine Chance. Für die Musikindustrie eine Herausforderung aber kein existenzielles Problem. Es hat sich nur der Zugang zur Musik verändert, aber Musik wird wie eh und je konsumiert. Das existentielle Problem hat jemand anderes: Die Politik. „Wenn das Radio weg ist und die Leute im Auto Spotify hören, dann fällt ein komplettes Medium weg, in dem Nachrichten nebenbei transportiert werden“, stößt uns eine gemeinsame Freundin bei diesem Abendessen auf das eigentliche Problem. Das ist der Moment, in dem der Vater seinen Sohn nach seinen Quellen fragt.
Was sich in dieser kleinen Runde erkennbar wurde, ist ein bundesweit auftretendes Problem. Veränderte Mediennutzung verdrängt zusehends Nachrichten aus der Öffentlichkeit. Es besteht die Gefahr, dass die Fakten nicht mehr auf den Tisch kommen – von den unterschiedlichen Meinungen zum Thema ganz zu schweigen.
Ich bin Kommunalberater und in vielen Kommunen in Deutschland unterwegs. Überall klagen die Ratspolitikerinnen und Ratspolitiker darüber, dass die Zeitungen immer weniger über die lokale Politik berichten. „Wir haben im ganzen Landkreis keine Redaktion mehr, sondern werden aus der Zentrale in der Metropole nebenan bedient“, klagt mir ein SPD-Fraktionsvorsitzender sein leid. Jede Woche trifft er seine Fraktion, berät sich in Ausschüssen und bereitet gewissenhaft die Ratssitzungen vor. Er schreibt Reden, sucht bewusst zuweilen den Konsens mit der regierenden CDU, weil es um die Stadt geht aber eben manchmal auch bewusst die Differenz, damit Politik Alternativen aufzeigen kann. Dumm nur, dass von all dem nur die Ratsmitglieder etwas mitbekommen. Berichtet wird über diese Sitzungen nie. Seit Jahren hat sich kein Journalist in die 60.000 Einwohnerstadt mehr verirrt.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass wir längst nicht mehr nur davon reden, dass ein kleines Dorf aus der Berichterstattung heraus fällt, sondern ganze 60.000 Menschen haben nur wenig Chance, etwas über die Politik in ihrer Stadt zu erfahren. Es gibt ein kleines Online-Blog mit nur wenigen Klicks, in dem ab und an ein süffisanter Kommentar zur Ratssitzung geschrieben wird, die Ratsmitglieder posten fleißig etwas auf Facebook und erreichen damit ein paar Freunde, aber die Masse bleibt ahnungslos.
In meinem Leben spielt die Lokalpolitik in meiner Stadt fast jeden Tag eine Rolle. ich bekomme das gesamte Hick-Hack der etwas – sagen wir rustikaler gelebten – Kölner Ratsdemokratie mit. Hundertausende, die um mich herum wohnen, erfahren von all diesen vielen kleinen Geschichten nichts. Es gibt keine Lokalpolitik im öffentlichen Raum. Sie findet ausschließlich in den Zeitungen und auf deren Online-Präsenzen statt. Als in der Kommunalwahl 2014 sich die ganzen Ratspolitiker dann wieder mit ihren Infoständen auf die Straße stellten und für ihre Positionen warben, warfen ihnen die Bürger nicht selten vor, dass sie sich ja jahrelang nicht haben blicken lassen und jetzt erst vor der Wahl wieder da wären. Tja, der Vorwurf ist unfair, denn diese Ehrenamtlichen sitzen jede Woche fast jeden Abend in irgend einem Gremium. Sie können gar nicht ständig auf der Straße stehen. Wann sollte das neben Beruf und ehrenamtlichem Ratsmandat denn noch gelingen? Aber auch den Bürgern, die schimpfen kann man keinen Vorwurf machen. Sie haben diese Volksvertreter nicht nur lange nicht gesehen, sie haben auch nirgendwo etwas von ihnen gehört.
Neue Sichtbarkeit der Kommunalpolitik
Das eigentlich Absurde an der Unsichtbarkeit der Kommunalpolitik ist, dass sie im Grunde den kompletten öffentlichen Raum bestimmt. Einer Stadt gehören Grundstücke, Straßen, Liegenschaften. Es gibt städtische Einrichtungen, Bäder, Museen, Schulen und Verwaltungsgebäude. Egal, wohin man vor Ort schaut, man sieht die Stadt. Ist es da wirklich notwendig, dass die kommunale Demokratie verborgen bleibt?
Ich finde eindeutig nein.
Kommunalpolitik braucht den Mut, sich selbst die Medien zu schaffen, um sich zu transportieren. Wie das gelingen kann, will ich gerne im Folgenden skizzieren:
Städte können öffentliche Info-Screens an allen prominenten Plätzen aufstellen. Sie können Bildschirme neben Warteschlangen auf der KFZ-Zulassungstelle aufhängen, in Schwimmbädern mit Beamern etwas projizieren und in jeder Schule mehrere Bildschirme anbringen. Das Internet macht es einfach, auf ganz unterschiedliche Schirme gleichzeitig Informationen zu spielen. Warum dann nicht das Stadtleben sichtbar machen?
Auf städtische Bildschirme gehören die Fußballergebnisse vom lokalen Verein, egal in welcher Liga er spielt. Überall in der Stadt muss man Veranstaltungshinweise auf Bildschirmen entdecken und natürlich auch die Ankündigung, worüber in der Ratssitzung gesprochen wird. Am Morgen nach der Ratssitzung können dort Infos über die Ergebnisse laufen. – Natürlich multiperspektivisch kommentiert von jeder Fraktion.
Nichts kann man in der kommunalen Demokratie besser als Proporz. Es wäre ein Leichtes in einer vordefinierten Form, jeder Fraktion zu erlaufen, die Ratssitzung weithin sichtbar zu kommentieren. Man könnte sich darauf einigen, dass zum Beispiel jede Fraktion ein Thema bestimmen darf, zu dem jede Fraktion ihre Position darstellt. So gäbe es in einem Rat mit fünf Fraktionen insgesamt 25 Meldungen. Wenn die drei Tage über alle Bildschirme flimmern, dann schafft es auch demokratische Pluralität in die Köpfe der Stadtbevölkerung.
Eine solche kommunale Informationspolitik hat nicht zuletzt den entscheidenen Vorteil, dass vor Ort wieder über lokale Ideen und lokale
Politik entschieden wird statt der Bundes- oder Landestrend schlicht abgebildet wird. Mehr informierte Menschen würden auch wieder stärken an Wahlen teilnehmen und nicht zuletzt gäbe es wieder mehr Gespräch über die Entscheidungen, die in einer Stadt getroffen werden.
Keine Kampfansage an die Presse
Das Modell der Kommunalscreens ist keine Kampfansage an die Presse. Schon heute gibt es an den großen Bahnhöfen überall solche Screens. Dort werden allerdings nur bundesweit relevante Hauptnachrichten von n-tv oder n24 angezeigt. Ähnliche Modelle sind auch überall dort denkbar, wo es noch Lokaljournalismus gibt. Zeitungsredaktionen könnten im Auftrag der Stadt diese Form der Nachrichten mit produzieren und damit ihre lokale Verwurzlung sichern.
Entscheidend für den Erfolg eines solchen Modells ist, dass es kommunal befüllt wird. Mit all den kleinen und großen Geschichten, die es in einer Stadt zu erzählen gibt. Kleinteilig, detailverliebt und ganz lokal. Die großen Nachrichten werden sowieso in anderer Form übermittelt. Sie drohen nicht unterzugehen, sondern alles liebevoll-kleine zu erdrücken.