Sperrt unsere Eltern in den Turm!

Wir haben mit Kindern gesprochen. Darüber, wie sie sich das Spielen wünschen. Ihre Forderung: Sperrt unsere Eltern in den Turm.

Es wurde in den vergangenen Jahren viel über Helikoptereltern diskutiert. Darüber wie Erziehungsberechtigte aus ihrem Erziehungsrecht einen Überwachungszwang machen. Eltern, die dauerpräsent über ihre Kinder wachen, die Lehrer in den Wahnsinn treiben und in stetiger Angst leben, ihrem Kind könnte Schaden zu Teil werden. Aber haben wir uns je die Frage gestellt, was Kinder über diese Eltern denken?

Mein Team und ich gestalten Kinder- und Jugendbeteiligungsprozesse in der ganzen Republik. Fast niemand in Deutschland plant, moderiert und organisiert so viele Beteiligungsprozesse mit jungen Menschen wie die S&N Kommunalberatung. Dabei sprechen wir mit hunderten Kindern und Jugendlichen beinahe jede Woche darüber, wie sie sich ihre Umgebung wünschen. Was sie ändern würden, wenn sie die Macht dazu hätten. Heraus kommen ganz faszinierende Ideen zum Umgang mit zu ängstlichen Eltern.

25 Kinder sitzen in einem kleinen Stuhlkreis. Sie besprechen, wie sie sich Spiellandschaften vorstellen. All das ist Teil eines größeren kommunalen Planungsprozesses für eine Parkanlage. Alle Ideen der Kinder werden live mitgezeichnet und damit visualisiert. Ein Kind wünscht sich einen hohen Turm mit einem Restaurant darin. Nur warum? – Ein Restaurant für Eltern soll es sein. Möglichst hoch oben und mit Fenstern. Auf die Frage, was das Kind damit bezweckt, erklärt es: Dann können unsere Eltern da oben sitzen und sehen, wo wir sind, dann müssen die uns nicht ständig hinter her laufen und uns suchen. Die anderen Kinder stimmen zu! Touché – das Grundschulkind baut in seiner Phantasie ein Helikopterrestaurant.

 

Kind im Kopf

Zeitsprung – zwei Jahre zurück: Das Kölner Schauspiel lädt zur Bürgerbeteiligung. Das will ich mir ansehen. Wie gehen Künstler vor, wenn sie Menschen an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen wollen? Meine schnelle Analyse ist fatal: Viel Aktionismus, Runden die etwas basteln, malen, darstellen und alles quasi ohne Dokumentation und erst Recht ganz ohne verantwortlichen Abnehmer. Eine Beteiligung, die jeden Qualitätsstandard ad absurdum führt. Pseudobeteiligung der schlimmsten Art.

Doch mir bringt diese Beteiligung tatsächlich etwas. Ich lerne dazu. Wir sitzen in einer alten Kirche in Köln im Stuhlkreis. Gebaut wurde diese Kirche mit wenigen Mitteln nach dem Krieg zwischen den Trümmern. Ein Provisorium – und wie immer in Köln wurde das Provisorium nie wieder abgebaut. Unsere kleine provisorische Runde besteht aus Personen zwischen Anfang 30 und Ende 50. Fast alle haben Kinder. Unser Thema: Spielen.

Zwei Künstler lesen uns Geschichten vor. Eine davon ein Auszug aus Ronja Räubertochter. Kindheitserinnerungen werden wach. Wir erhalten den Auftrag uns gegenseitig von unserem Spielen in Kindertagen zu erzählen. Der ältere Herr mit Halbglatze berichtet, wie er und seine Freunde als Kind heimlich durch eine Lücke im Maschendraht schlüpften und auf dem Gelände einer alten Kiesgrube spielten. Eine junge Frau erzählt davon, wie sie den ganzen Tag auf der Straße spielte und ich schwärme davon, wie ich morgens meinen Eltern adieu sagte und Abends vom Staudamm bauen aus dem Wald zurück kam. Es sind Geschichten von Freiheit und Abenteuerlust.

Dann sollen wir planen, wie wir uns ein Spielgebiet für Kinder vorstellen. Unsere Ideen sind voller Kreativität und Freiraum; mit Verstecken und Abenteuerwelten, Geheimgängen und Höhlen. Nach rund einer Stunde sagt ein Vater: Oh, wenn wir sonst über Spielplätze als Eltern reden, dann geht es immer nur um Sicherheit. Touché, Eltern müssen erst im Kopft wieder Kinder werden, bevor sie ihre Kinder spielen lassen können.

 

Das freie Spiel

Das Spiel ist wohl die entfesselndste Kraft im Menschen. Wir entdecken die Welt im unendlichen Spieldrang. Wir erträumen uns Welten, die es noch nicht gibt und mancher baut sie nach. Der Traum vom Fliegen brachte erst das Flugzeug hervor. Der Traum von fremden Ufern die Entdeckung der Welt. Der Traum vom Glück die Liebesehe statt der Zweckgemeinschaft.

Das Spiel legt in uns das Potential frei, unseren eigenen Weg zu gehen. Und je freier das Spiel, desto befreiter der Geist, der aus ihm erwächst. Wer als Kind seinen Eltern entkommt, findet auch später seinen Weg zum eigenständigen Leben. Wer im Kindesalter das Vertrauen seiner Eltern genießt, stundenlang im Wald zu verschwinden, der kann auch das Selbstvertrauen entwickeln, sich in fremden Welten zurecht zu finden.

Ich habe mein Leben selbst gestaltet. Auf manch verrückter Bahn. Vieles dabei neu erdacht und nicht selten begann es mit einem spielerischen Impuls. Dem einfachen Gedanken: „Mal schauen, ob das möglich ist.“

Dieses Spiel, diese Entwicklungsperspektive enthalten zu viele Eltern heute ihren Kindern vor. Die spüren intuitiv, dass sie das Spiel für sich zurück erobern müssen. Darum erfinden sie Türme mit Restaurants darin, damit sie endlich wieder frei spielen können. Vielleicht hilft ein solcher Turm in der Praxis nicht, aber durchaus ein Elternabend bei dem man die Erwachsenen zu allererst bittet aus ihrer eigenen Kindheit zu erzählen. Vielleicht setzen sie sich dann auch wieder freiwillig ganz entspannt in ein Restaurant und die Kinder dürfen alleine in den Wald.

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