Alt und wertlos?
Noch zu selten, aber doch mit nennenswerter Frequenz, wird über die Abschiebung alter Menschen geschrieben. Raus aus dem Sozialleben, an den Rand gedrängt, vergessen. Das Altenheim als neue Heterotopie, in der sich schlechtes Gewissen örtlich lagert, um nicht den Alltag zu stören. Jedoch bleibt im Diskurs über Würde im Alter zu oft die Analyse der Bedingungsfaktoren der Änderung im intergenerationellen Verhältnis auf der Strecke. Und damit die Frage, wie sich die Weisen zu den Unwissenden wandelten.
Die ureigenste Qualität des Alters war stets die Weisheit. Das umfassende Wissen um alle wichtigen Lebensbereiche und Fertigkeiten. Jahrhundertelang wussten die Alten stets all jenes, was die Jungen noch zu lernen hatten. Dies umfasste gleichsam technisches Wissen bezogen auf Ackerbau und Tierzucht, Handwerk und Jagd, wie auch emotionales Wissen um Liebe, Trauer, Ehe und Verantwortung. Beide Kompetenzbereiche zusammen machten die Alten zu relevanten Ansprechpartnern für die Jüngeren in Fragen der Lebensbewältigung.
Dieser Wissens- und Kompetenzvorsprung der älteren Generation ist längst erodiert. Er wurde dekonstruiert durch das Aufkommen technischer Innovation und Dynamik. Die fortschreitende Technisierung aller Lebensbereiche macht die Älteren zu Überforderten und versetzt die Jüngeren erstmals in die Lage einen relevanten Kompetenzvorsprung zu besitzen. Somit ist der jungen Generation eine Dimension von Wirklichkeit zugänglich, die für die Alten dauerhaft verschlossen bleibt.
Die ständige Nutzung mobiler Endgeräte und des Internets verändert die Kommunikationsformen und damit auch Beziehungsmodelle. Das Wissen der Älteren um das Aufrechterhalten von Beziehungen über weite Strecken ohne Kontaktoption erscheint wertlos angesichts der Möglichkeiten von Skype und Facebook, Telefon und Live-Chat.
Das Unverständnis jugendlicher Lebenswelt und des modernen Arbeitslebens versetzt die Älteren immer seltener in die Lage weisen Ratschlag zu erteilen. Im Gegenzug werden sie auch seltener um Rat gebeten. Den Alten ist also zusätzlich zum Verlust ihrer physischen Arbeitskraft noch die intellektuelle Beteiligung am gesellschaftlichen Leben genommen. Alte Menschen erscheinen wertlos.
Die Entwertung alter Menschen und das Abschieben eben dieser an den Rand der Gesellschaft legt eine defizitäre Wertewelt in Deutschland offen. Menschen werden vornehmlich anhand von Nützlichkeitserwägungen bewertet. Geht der konkret benennbare Nutzen des einzelnen verloren, so wird diesem ebenso die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben versperrt.
Gegenmaßnahmen, die ein Erkennen des Nutzens alter Menschen für das Gemeinwohl progagieren – man greife nur beispielhaft die Debatte über Freiwilligendienste im Alter heraus – greifen daher zu kurz. Sie ordnen sich dem Bewertungsschema der Verwertbarkeit unter, anstatt grundlegend jenes Schema in Frage zu stellen. Ein neuer intergenerationeller Dialog muss – wenn er ernsthaft würdevolles Leben im Alter hervorbringen will – sich über den Ansatz der Verwertbarkeit erheben und den Wert wieder in der menschlichen Existenz als solcher suchen.