Was wir von Angela Merkel lernen sollten – und warum wir sie überwinden müssen.
Angela Merkel ist ein politisches Phänomen. Ihre bescheidene Art auch nach Jahren der Kanzlerschaft nötigt Freund und Feind Respekt ab und macht sie zu einer nahezu unangefochtenen Autorität. Woran sie bis heute bitterlich scheitert, ist diese Autorität zu irgend einem Guten zu nutzen.
Ach, was hat mich diese Kanzlerin schon wahnsinnig gemacht. Nicht, weil sie mich zornig machen würde, sondern weil ich sie mag, egal für wie falsch auch immer ich ihre Politik halte. Ich will Angela Merkel gar nicht mögen und dennoch nötigt sie mir Respekt ab. Verdammt!
Warum Angela Merkel das gelingt, kann man recht einfach beschreiben. Es liegt sicherlich nicht daran, dass sie so vielen Menschen nach dem Mund redet. Es liegt auch nicht daran, dass sie ihre Meinung ständig wechselt. Vielmehr überzeugt sie damit, dass sie niemals in Überheblichkeit verfällt. Mal erzählt sie von Streuselkuchen, mal von Kartoffelsuppe und dann wieder von Grünkohl und steht ganz nebenbei in dem gefühlt immer gleichen Hosenanzug auf irgendeiner internationalen Konferenz als mächtigste Frau zwischen den mächtigsten Männern der Welt.
Angela Merkel hebt nicht ab. Sie poltert nicht wie Gerhard Schröder, sie doziert nicht wie Helmut Schmidt, sie hält keine selbstverliebten Reden wie Kohl und führt kein Lotterleben wie Willy Brandt. Sie steht schlicht da, lächelt und inszeniert sich genau so, wie wir uns eine „Mutti“ vorstellen.
Angela Merkel folgt ziemlich genau einem Mechanismus, den ich in meiner Schrift „Die Theologie des materialistischen Gegenübers“ beschrieben habe. Ein Bekehrungsmechanismus, den Jesus nutzt, um Menschen von sich zu überzeugen. Er gibt ihnen alles Materielle, was sie sich wünschen und bedient sich nicht selbst.
Gönnen können ohne selbst zu nehmen
In jenem Beitrag über die Bekehrung des Simon Petrus schrieb ich: Der Mechanismus lässt sich auf eine einfache Formel bringen: „Gönnen können, ohne selbst zu nehmen“. Ein Prinzip, bei dem man anerkennt, dass der Materialismus des Gegenübers ein ernstzunehmendes Bedürfnis ist. Diesem setzt man kein Alternativkonzept entgegen, sondern man nimmt die Perspektive des Gegenübers selbst ein. Man bedient das materialistische Bedürfnis des Anderen, ohne dessen Wert, dessen Sinn, dessen Wirkungen zu hinterfragen. Das Besondere ist, dass man zwar den Materialismus des Gegenübers vollumfänglich bedient, jedoch sich selbst nichts nimmt.
Genau so funktioniert Angela Merkel. Sie gönnt gefühlt jedem alles und bedient sich nicht selbst. Sie veranstaltet eine Geburtstagsparty für Joseph Ackermann im Kanzleramt – aber hat jemals jemand von einer Party Angela Merkels für sich selbst gehört? Sie gönnt den Managern die höchsten Boni und hat Mitleid mit Ulli Hoeness, aber traut irgendwer Angela Merkel ein eigenes Schwarzgeldkonto zu?
Nein, Angela Merkel ist über jeden Verdacht erhaben. Die erste Kanzlerin der Deutschen Geschichte ist so bescheiden und bodenständig, wie keiner ihrer männlichen Vorgänger und draus schöpft sich ihre beinahe furchteinflößende Beliebtheit. Diese Beliebtheit ist die Quelle ihrer Autorität in der Regierung und in der Altherrenpartei CDU.
Warum wir Angela Merkel überwinden müssen
Ja, Angela Merkel hat Eigenschaften, von denen wir lernen sollten. Bodenständigkeit und Bescheidenheit – nicht zuletzt ich selbst könnte mir einiges davon abschneiden. Sie zeigt Großmut gegenüber anderen und übt sich in Selbstlosigkeit. Das ist groß, keine Frage.
Nur eines unterscheidet sie von den wahrhaftig Großen. Denn diese erwarben sich mit Selbstlosigkeit Autorität, um sie dann zum Guten zu nutzen. Bei allen großen Personen der Geschichte folgt auf die Selbstlosigkeit und den daraus entwickelten Autoritätsgewinn die Aufforderung zur Umkehr des Gegenübers. Bei Jesus ist es die Aufforderung das Fischen sein zu lassen und Menschenfischer zu werden. Bei Ghandi ist es die Aufforderung Indien frei zu geben und bei Angela Merkel ist es nichts.
Die Deutsche Kanzlerin hat genügend Autorität angehäuft, um wahrhaft Großes zu erreichen. Sie könnte ernsthaft das Klima retten oder ernsthaft die Banken regulieren, sie könnte ernsthaft die Umverteilung in diesem Land zu Gunsten der Schwächsten auf den Weg bringen, ja, Angela Merkel könnte irgend etwas in der Welt besser machen, aber sie tut und tut es einfach nicht.
Sie steht da und gefällt sich in ihrer Autorität. Wenn sie diese aber dauerhaft nicht zum selbstlosen Zweck nutzt, so ist sie eben doch nicht selbstlos, sondern dient ihr, sich Bewunderung zu schaffen. Wenn Angela Merkel in dieser Legislatur nicht die Initiative zum großen Wurf ergreift, dann ist der Vorwurf gerechtfertigt, dass sie nicht bescheiden, nicht selbstlos ist, sondern nur darauf aus, Bewunderung zu ernten.
Ja, wir sollten von Angela Merkel lernen, wie man Autorität anhäuft, aber wir müssen sie überwinden, weil sie nicht bereit ist, diese ins Handeln zu überführen. Eine bessere Welt kommt nicht von Bescheidenheit allein.