Deutschland, Du bist mir fremd geworden.
Es hat sich etwas verändert in den letzten zwei Jahren in diesem Land. Ich fühle mich so fremd und angegriffen in der Identität wie nie. Überall lese ich Hassbotschaften. Es vergeht kein Tag, an dem nicht jemand gegen andere Menschen hetzt. Was ist aus dir geworden, Deutschland? Warum hast Du deine Größe verloren und stimmst erneut ein in den Kleingeist der Vergangenheit.
Ich gehöre zu den Menschen, die viel unterwegs sind in unserem Land. Ich fahre im Schnitt mehrere hundert, in manchen Wochen auch mehrere tausend Kilometer durch ganz Deutschland mit der Bahn. In großen und kleinen Städten bin ich zu Gast. Überall gehe ich Abends in Wirtshäuser, treffe Menschen und führe Gespräche. In den Zügen höre ich Gespräche um mich herum. Ich tue das seit Jahren und ich habe noch nie so eine seltsame Stimmung erlebt, wie dieser Tage.
Etwas kippt in diesem Land. Es kippt nach rechts. Auf den Straßen werden wieder wütende Botschaften gesprochen und im Internet finden die Hassprediger kein Halten mehr. Es fühlt sich an, als wäre unser Land eingeklemmt zwischen religiösen Fanatikern aller Konfessionen und Rechten, denen die Flüchtlinge willkommener Anlass zur Hetze sind.
Zu allem Verdruss hat sich eine neue Partei ihren Weg in die Parlamente und Köpfe gebahnt. Erneut umschmeichelt eine Kraft, die dem Anderssein den Wert abspricht, die Geister der Deutschen. Wieder bedient man die Ängste vor dem Fremden und der Zukunft. Beinahe glaubt man, jede positive Botschaft ertrinke im tristen Grau der Frustration.
„Das muss man doch noch sagen dürfen“ und „nur weil ich das sage, bin ich doch kein Nazi“ sind die Bannersprüche der Ausgrenzenden. Sie toben durchs Land und halten Schilder hoch. Es gibt wieder Fackelmärsche und auf diesen brüllt man so laut, dass selbst ich in meiner Lebenswelt sie schon höre. Ja, ich fühle mich nicht sicher – nicht sicher in einem Land, in dem über Jahre hinweg Rechtsextreme morden konnten und alle Sicherheitsbehörden die Augen verschlossen. Ich fühle mich nicht sicher in einem Land, in dem die Wut, Hass und Zorn die Menschen in Massen auf die Straßen treibt.
Ich las am Tag des Hooligan-Aufmarsches in Köln einen kurzen Text von einem Bekannten. Er schrieb, dass er sich heute nicht aus dem Haus traut in Köln. Es ist das vielleicht traurigste Facebook-Posting, das ich jemals las. Es ist so traurig, weil es wahr ist.
Jeden Tag wird es kälter. Der Wind bläst eisig die Straßen entlang. Der Zorn marschiert erneut durchs Land.
Es ist wieder Herbst in Deutschland. Die Blätter fallen und übrig bleiben kahle Köpfe. Es wird sich zeigen, ob auf den Winter wieder Frühling folgt in bunten Farben, oder ob Deutschland versinkt im Strudel aus tristem Grau.
Mehr zum Thema: Als das Christkind in Dresden erfror