Als die Kinder foltern lernten

Wenn ich über heutige Jugendliche nachdenke, dann wird mir bange. Welche Fragen haben sie gehört? Wer siebzehn Jahre zählt, der kennt nur Merkel. Merkel und ein einziges politisches Wort: Flüchtlingskrise.

Es gab keine Fragen nach dem Sozialstaat, keine Umweltpolitik, keine Bürgerversicherung und keine Rentendebatte in den letzten Jahren. Es ging nicht um Erziehung und Kitaplätze sondern nur um Flucht und Migration; um angebliche Überforderungen Deutschlands und die Angst vor Überfremdung.

Jugendliche sind ein Spiegel des Jetzt. Sie kennen kaum die Geschichten der Vergangenheit. Helmut Kohl ist für die Teenager von heute eine ferne Figur. Die Deutsche Einheit Langeweile längst vergangener Zeiten. Wenn der politische Geist in der Jugend erwacht, dann ist er geprägt vom Hier und Jetzt. Er ist unmittelbar beeinflusst von den Stimmungen, die diesen politisch jungen Geist umgeben. Er positioniert sich zu den Fragen, die heute diskutiert werden.
Es gab in all den letzten Jahren nur eine Frage, die überall besprochen wurde. Es gab nur den aggressiven Ton. Was wird aus jemandem, der keine Erinnerung mehr hat an den politisches Stil von gestern? Was denkt ein Mensch, der Politik nur in der Verhandlung einer Frage kennt? Was empfindet jemand, der Demokratie nur als hysterisches Schreien erlebt hat?

Wenn man plötzlich foltern darf
Ich kenne jemanden, der so etwas weiß. Ein alter Freund von mir aus dem Studium. Sein Weg führte ihn in die Schule als Politiklehrer. Meiner wies in eine andere Richtung. Wenn wir uns treffen, dann trinken wir gerne miteinander Bier und reden über Gott und die Welt. Über unsere Beziehungen und Berufe, über sein Kind oder das Lebensglück. Und natürlich erzählt er aus der Schule. Nur der Text hat sich geändert.

„Meine Schüler sind jetzt alle für das Foltern“, sagt er nach dem dritten Bier. Ich kann es kaum glauben.

Er benutzt im Unterricht jedes Jahr eine Dilemma-Geschichte. Ein muslimischer Terrorist wird geschnappt, aber er verrät nicht, wo die Bombe liegt. Vor nicht allzu langer Zeit entscheiden sich fast alle seine Schüler dafür, dass man auch in Zeiten akuter Bedrohung nicht foltern darf. Selbst für den Preis eines unschuldigen Lebens.

Doch plötzlich ist das anders. Nur noch zwei junge Frauen in der Klasse stellen sich gegen einen Folterkonsens. Das erpressen von Antworten mit Gewalt ist zum dominanten Gedanken geworden. Wir haben verloren. – Wir haben verloren, weil sich in der Jugend spiegelt, was unsere heutige politische Debatte produziert. Die Angst erwürgt die Menschlichkeit.

Mir wird schlecht. Die Vorstellung, dass in unserem Land die Folter wieder Zustimmung gewinnt, dreht mir den Magen um.

 

Ein Schlag in den Magen. Er würgt und bricht zusammen. Krümmt sich auf dem Boden. Spuckt und sabbert Blut, das sich im Mund mit seinem Speichel mischt. Ein Tritt. Schmerz, Angst. Wieder ein Tritt. Hochziehen an den Haaren. Zurück zerren an den Tisch und auf den Stuhl stoßen. Die nächste Frage.  

 

Entmenschlichung ganzer Gruppen
Wie greift man das mentale Konzept der legitimen Folter an? Wie durchbricht man die Mauern aus Empathielosigkeit, in die man sich einschließen muss, um jemand anderem die Folter zu wünschen? Wie erlernen Menschen, dass sie falsch ist? Nicht eventuell falsch, nicht ein bisschen, sondern grundfalsch.

Es braucht nur einen Gedanken, um sich gegen die Folter zu stellen. Der Gedanke heißt, Du könntest selbst das Opfer sein. Nur zieht der nicht. Wie in einem Coocoon sind die Opfer eingesponnen worden. In den Köpfen sind sie Fremde. Es sind Menschen, die anders aussehen. Muslime. Es sind nur die anderen, denen die Folter droht. Damit stimmt man einem Mittel zu, das einen selbst nicht treffen kann. Was hier nach außen drängt ist die Entmenschlichung ganzer Gruppen. Flüchtlinge ertranken. Es wurde egal. Flüchtlinge erfroren. Es wurde egal. Jahre des Krieges in Muslimischen Ländern. Die Opfer egal. Flüchtlingsheime brannten. Es interessierte niemanden. Die schiere Menge der verlorenen Leben, machten den nächsten Toten zum Schulterzucken.

 

Ein Schnitt mit dem Messer. Der Finger fällt auf den Boden. Blut läuft auf den Tisch. Ein fassungsloser Blick auf den fehlenden Finger. Eine Sekunde der Verzögerung. Dann Schmerz. Der Gedanke bricht sich Bahn. Das heilt nie wieder. Panik. Für immer verloren. Ein lächelnder Polizist. Staatsbeamter. Er stellt erneut seine Frage.

 

Es stirbt für das Wir das Ich
Wir müssten eine ethische Debatte führen und verweigern sie. Es zählt nicht mehr die Frage, was den Mensch zum Menschen macht. Der Gedanke vom Volk hat sich über den Mensch mit individuellen Rechten erhoben. Ein Wir und Ihr und beide in unversöhnlicher Konfrontation. Die Nation ist wieder da, nachdem sie immer tiefer schlief. Und wie eh und je fordert sie im Erwachen ihre Opfer ein. Aufopferung für die Nation, für den Schutz der Nation, Sterben für die Nation. Wo sie herrscht, da stirbt für das Wir das Ich.

Dass die Schüler von heute den Muslimen foltern wollen, ist das Ergebnis eines Prozesses. Es ist die Ausgeburt der Grenzen, die zwischen diesem deutschen Uns und dem fremden Die gezogen wurde. Es ist der Eiter, der aus der Beule aus Krisenwörtern und nationaler Herrlichkeit bricht. Wir haben diesen Eiter wachsen lassen und er stinkt.

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