FLÜCHTLINGE: DU KÖNNTEST SELBST DER NÄCHSTE SEIN
In Köln gibt es mal wieder eine Bürgerinitiative und einen Zettel voller Unterschriften. Jeder, der auf diesem Zettel unterschrieben hat, spricht sich gegen eine Unterkunft für Flüchtlinge aus. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln. Ich finde, liebe Unterzeichner, ihr solltet euch schämen.
Es war eine ganze besondere Begegnung vor ein paar Tagen. Ich traf nach langer Zeit auf einem 70. Geburtstag eine entfernte bereits ältere Verwandte. Irgendwann am Abend eröffnete sie ein neues Thema mit dem Satz „diese Sache mit den Flüchtlingen, die ärgert mich wirklich“. Nur Stunden zuvor hatte ich fremdenfeindliche, rassistische und bösartige Kommentare von Flüchtlings-Gegnern auf meinen Facebookseiten gelöscht. Ich wollte in diesem Moment nicht fassen, dass auch diese Frau, die ich schon so lange kenne und so gerne mag, in den hasserfüllten Tenor derjenigen einschwenkt, die sich gegen die Unterbringung von Menschen in Not wehren.
Was sie dann sagte, war allerdings etwas völlig anderes: „Ich kann mich selbst noch daran erinnern, wie wir damals geflohen sind und ich weiß noch, wie es sich angefühlt hat, dass wir nicht willkommen waren.“ Ja, das ist meine Verwandtschaft und sie ist so deutsch, wie man nur sein kann und dennoch, es sind Flüchtlinge. Flüchtlinge eines Weltkrieges, den Deutschland selbst begonnen hatte. Geflohenen Familien, deren Väter und Söhne im gleichen Krieg auf derselben Seite gekämpft hatten, wurde im sicheren Westen viel zu oft die Türe zugeschlagen. Eine bemerkenswert herzlose Geste derjenigen, die, wenn die Geschichte ein klein wenig anders verlaufen wäre, selbst hätten Flüchtlinge sein können.
Ich finde es erschreckend, wie wenig sich manche Menschen in das Schicksal von Flüchtlingen hinein versetzen wollen. Ich finde es erschreckend, dass so wenige Menschen das Schicksal von Flüchtlingen als das potentiell eigene begreifen. In nur wenigen Momenten kann die Welt eine andere sein und wir, die wir uns in Sicherheit wähnen, könnten selbst vertrieben und verfolgt werden.
Ich verstehe nicht, wie man auf einem Zettel unterschreiben kann, Menschen Obdach zu verweigern, die ihr Zuhause aus Angst um ihr Leben verlassen mussten. Ich verstehe nicht, wie man Menschen, die alles zurück gelassen haben, ernsthaft vorwerfen kann, sie kämen hierher, um unseren Staat auszunutzen. Am wenigsten verstehe ich aber diejenigen, die intelligent genug sind, die Wahrheit zu verstehen und dennoch die Ressentiments der Unverständigen nutzen, um sich selbst politisch zu profilieren.
Am meisten ärgert mich der Bund der Vertriebenen mit seiner Ikone Erika Steinbach*. Ich habe jede Pressemitteilung aus diesem Jahr auf der Seite des Verbandes angeschaut. Es gibt keine einzige zur Situation und Lage der Flüchtlinge in unserem Land. Eine Frage liegt mir auf den Lippen: Erika Steinbach, schämen Sie sich nicht? Ist es Ihnen selbst nicht peinlich, dass ein Verband, der sich „Bund der Vertriebenen“ nennt, sich selbst nicht solidarisch erklärt mit Menschen, die Flucht und Vertreibung erfahren? Sie nehmen so oft für sich in Anspruch christliche Werte zu verteidigen, nur warum beziehen Sie nicht die christlichste aller Positionen: MENSCHLICHKEIT.
Auf einem Zettel in Köln stehen Namen. Einer unter dem anderen und jeder Name steht für einen Menschen, der kein Mitleid kennt. Sie alle werden Gründe anführen, warum nun genau an jener Stelle aus ihrer Sicht keine Flüchtlingsunterkunft entstehen sollte. Sie alle werden sagen, ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, ABER. Mein Aber ist ein anderes. Mein Aber lautet: ABER, Sie sind herzlos genug, Hilfe zu verweigern.
*Erika Steinbach hat mich mittlerweile darauf aufmerksam gemacht, dass Sie auf dem Tag der Heimat 2014 des BDV folgenden Sätze gesagt hat: „Wenn wir heute rund um den Globus schauen ist das dramatisch nötig. An die 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht oder vertrieben. Wir stehen an ihrer Seite und fühlen mit ihnen.“
In einer langen Rede ist das die einzige Referenz auf die Lage der Flüchtlinge heute. Es gibt keine PM zu den Flüchtlingsunterkünften, es gibt keine klare Positionierung des BDV in der Öffentlichkeit. Es gibt aber diesen einen Satz. Der ist richtig, aber nicht genug.