Theologen, sprecht vom Krieg!
Mein alternatives Wort zum Sonntag
Ich bin entsetzt über die Predigten in Kirchen und im Fernsehen. Im Nordosten taumelt Europa in einen neuen großen Krieg und im Südosten schlachten religiöse Fanatiker die Zivilbevölkerung ab. Die Welt brennt und zu viele gestandene Pfarrerinnen und Pfarrer haben zu wenig zu sagen.
Natürlich kenne auch ich die rühmlichen Ausnahmen, die mit Kraft eine Perspektive des Glaubens auf die Welt formulieren. Allerdings sind sie zu selten. Am meisten bestürzt mich dabei das Wort zum Sonntag. Das bewegt sich zumeist zwischen Belanglosigkeit und Peinlichkeit. Ich bin das gewohnt. Es ist jeden Samstag Abend eine entsetzliche Tradition. Ich kann es sogar verstehen. Da soll man in wenigen Minuten vor einem Millionenpublikum etwas sagen, das jeder versteht. Es soll sich gut anfühlen und ein positives Bild von Kirche transportieren. Da ist die Ice Bucket Challange doch ein gutes Thema, genauso wie die Frage, ob es schlimm ist, wenn alle anderen in den Urlaub fahren, nur man selber nicht.
Echt jetzt? Dafür braucht es keinen prominenten Sendeplatz am Samstag Abend. Es reicht ein Youtube-Kanal, den – wenn es wirklich gut läuft – 500 Leute abonnieren. Gerade deshalb war ich erfreut, dass sich am 9. August Pfarrer Alfred Buß entschieden hat, vom Frieden zu predigen.
Ich bin beschämt.
Ich bin beschämt über das, was er gesagt hat. Nicht, weil es nicht schön genug war, sondern weil es zu schön war. Eine kleine Geschichte über Kinder, die wissen, wie man Krieg spielt, die aber keine Antwort darauf haben, wie man Frieden spielt. Dann eine kurze Erwähnung des ersten Weltkrieges, um sich darauf hin den aktuellen Konfliktherden zu nähern und zu bemängeln, dass Kriege im Namen Gottes geführt werden. ZEITSPRUNG. Der Augsburger Religionsfriede war wichtig und schön, dass Menschen den Frieden feiern.
Dafür braucht es keine Kirche. Wie sinnentleert wollen wir die Theologie noch werden lassen? Unsere Kirchen haben sich in Gräber verwandelt. Das Publikum ist dem Tod genauso nahe, wie die theologische Substanz dessen, was in ihnen gepredigt wird. Wo ist das Existenzielle hin? Wo ist die Theologie?
Ihr macht es euch zu einfach!
Es ist zu einfach, für den Frieden zu beten. Es ist zu einfach, weil wir alle wissen, dass kein Gebet für den Frieden, das Morden beendet. Es ist zu einfach, weil kein Gebet die Wahnsinnigen stoppt. Es ist zu einfach, weil das Gebet für den Frieden aus der sicheren Ferne eine herzlose und sinnfreie Tat ist. Wer wahrhaft glaubt, muss existenzieller denken.
Wenn wir in den Nahen Osten blicken, dann wütet dort eine brutale Miliz. Sie mordet, vergewaltigt, versklavt und schlachtet ab. Da spielen keine Kinder den Krieg, sondern da zerfetzen Kugeln Kindern das Gesicht. Da schneiden vermummte vor laufender Kamera Journalisten den Kopf ab. Da gehen Männer Reihen von Gefangenen entlang und ermorden einen nach den anderen und niemand hält sie auf.
Wie zynisch ist es, das Augsburger Hohe Friedensfest zu zitieren. Das ist kein Hochfest des Friedens, sondern ein Aufatmen, dass das knietiefe Waten im Blut ein Ende hat. Dort wird bis heute gefeiert, dass am Ende des Dreißigjährigen Krieges die Leichenberge des endlosen Hassens und Mordens so hoch geworden waren, dass keine Seite mehr die Kraft hatte, den Krieg weiter zu führen. In Augsburg gewinnt nicht die Menschlichkeit, sondern es scheitert der Krieg nach dreißig Jahren.
Wollen wir in Syrien und im Irak auch auf dieses Fest warten? Wollen wir hoffen, dass wir eines Tages predigen können, dass auf den zertretenen Leichen von Millionen Menschen in Bagdad ein Frieden geschlossen wurde, weil für keinen der Krieg noch zu gewinnen war?
Glaube heißt Verzweifeln!
Die Theologie muss heute Antworten geben auf die Fragen dieser Tage. Diese Fragen heißen nicht „wie spielt man Frieden?“ sondern sie heißen „ermorden lassen, oder kämpfen?“ und „beistehen oder verrecken lassen?“. Diese Fragen tuen weh.
Wer in der Nachfolge Christi steht, der folgt keinem Sieger, sondern einem Verlierer. Wer Christus folgt, folgt dem Geschundenen, dem Gefolterten und dem Ermordeten. Wer Christus folgt, der greift nicht zur Waffe, sondern lässt sich ermorden. Aber können wir allen Ernstes von anderen verlangen, sich ohne Gegenwehr den Verfolgern auszuliefern? Können wir verlangen, dass sich ein Volk in die Sklaverei führen lässt in der Hoffnung, Gott möge sie nach Jahrhunderten erlösen? Dürfen wir den freiwilligen Tod einfordern, ohne uns ebenso wehrlos an ihre Seite zu stellen?
Jesus bittet, nicht einzuschlafen und nicht wegzusehen als er verhaftet wird. Er bittet, ihn nicht zu verleugnen im Angesicht der Gefahr. Er bittet, in seiner Nachfolge selbst zu sterben. Er bittet, den gleichen brutalen Tod nach Folter zu ertragen. Jesus bittet seine Nachfolger, Unrecht zu ertragen. Petrus hat es getan.
Ich kann das nicht. Ich habe diese Größe nicht. Ich bin zu schwach, mich selbst in Gefahr zu begeben. Ich habe nicht den Mut, in ein Flugzeug zu steigen und mich wehrlos einer mordenden Miliz entgegen zu stellen. Ich habe diese Größe nicht.
Dürfen wir töten?
Müssen wir denn den Mördern die Welt überlassen? „Du sollst nicht töten“ lautet eines der zehn Gebote. Handeln also alle, die sich den Milizen entgegen stellen gegen Gottes Wille? Darf ich nicht töten, wenn ein anderer mich und meine ganze Familie auslöschen will? Darf ich mich nicht verteidigen?
Die zehn Gebote stehen nicht allein. Sie haben eine Überschrift und diese ist essentiell. Sie lautet „Ich bin dein Gott, der dich aus dem Sklavenhaus Ägypten befreit hat“. Freiheit steht den zehn Geboten voran. Nur wo Freiheit herrscht, haben sie Gültigkeit. Wo Krieg herrscht, herrscht keine Freiheit und wo keine Freiheit herrscht, da ist die Selbstverteidigung erlaubt.
Sterben oder kämpfen?
Unsere Religion löst den Widerspruch nicht auf. Gott bittet um den Gewaltverzicht auch um den Preis des eigenen Lebens, aber fordert ihn nicht ein. Die größere Tat ist es, nicht zurück zu schießen. Sie verlangt eine persönliche Größe, die in der Geschichte immer wieder einzelne Menschen aufbringen konnten. Aber es sind wenige. Gott bittet um den Gewaltverzicht, fordert diesen aber nicht ein.
Der in der Bibel offenbarte Glaube fordert von uns, sich für eine Handlung zu entscheiden. Wir können einen gerechten Tod im Gewaltverzicht sterben oder wir können für Freiheit kämpfen. Doch in beiden Fällen geht es um eine Handlung. Sich entscheiden, zu ertragen, oder sich entscheiden, Freiheit zu schaffen.
Ich habe nicht die Größe, das Morden zu ertragen. Darum befürworte ich die militärische Intervention in der Region. Aber selbst das ist keine Größe, denn ich selbst schicke damit andere in den Tod. Ich selbst bin zu feige, mich dem Handeln zu stellen. Mir fehlt die Kraft. Erst an dem Punkt, an dem man das eigene Scheitern an der Aufforderung zur Handlung erkennt, ergibt das Beten einen Sinn. Nicht das Beten dafür, Gott möge einen Krieg stoppen, sondern das beschämte Beten dafür, dass in mir eine Stärke zum Handeln erwächst.