Der politische Unfall
Im Tagesspiegel verkündet Sigmar Gabriel die Grünen seien die Liberalen des 21. Jahrhunderts. Eine These, die zwar schön klingt, am Ende jedoch der Logik nicht stand hält. Wahr haben will Gabriel es sicherlich nicht, aber der größte unbeabsichtigte politische Unfall der letzten Jahrzehnte ist: Die neuen Liberalen heißen SPD.
Zum Selbstbild der Sozialdemokraten gehört vieles und sicherlich auch, dass man sich ein bisschen liberal fühlt. Aber ein Liberaler sein, das möchte man nicht. So ist das Label der Liberalen für die Grünen gleichsam Mittel der Freundschaftspflege mit dem Wunschpartner und Angriff gegen die FDP, aber zugleich auch eine vergiftete Spitze gegen die Grünen. Denn schließlich sind – in der Wahrnehmung Gabriels – die Liberalen dann doch stets eine kleine intellektuelle Splittergruppe geblieben.
Aber was ist eigentlich der Liberalismus? Drei Gedanken prägen ihn und machen den Liberalen erst zu dem, wer er ist. Erstens die Negation der Möglichkeit eine richtige Form des Lebens zu definieren. Zweitens der Gedanke, dass jeder gemäß seiner Begabung und seines Fleißes in die Lage versetzt werden muss, politisch Einfluss zu nehmen. Drittens, dass der Erwerb von Bildung und Wirtschaftskraft die verstärkte politische Einflussnahme gestattet. So richtet sich der Liberalismus im Kern gegen Kirche und Monarchie und zielt auf Selbstermächtigung.
Im 19. Jahrhundert bedeutete dies folgerichtig, dass sich die Liberalen gegen die moralische Definitionshoheit der Kirchen zur Wehr setzten und beispielsweise mit der Freimaurerei ein Programm der Selbsterziehung zur Moral ohne ideologisches Korsett erschufen. Logischer Weise trat der Liberalismus auch der Monarchie entgegen, die politische Teilhabe nicht von eigenem Erfolg, sondern von Geburtsrechten her legitimierte. Aber – und das ist zentral für das politische Programm des Liberalismus – eine sozialistische Gleichheitsidee wurde stets abgelehnt.
Will man nun die neuen Liberalen im politischen System der Bundesrepublik aufspüren, so muss das heutige Pendant zur ehemaligen kirchlichen und monarchischen Gewalt gefunden werden. Damit ist die Suche nach dem Liberalismus nicht die Suche nach einer bestimmen Methodik des Politischen oder einzelner Forderungen, sondern die Suche nach einer Position, die maximale Freiheit ermöglicht und gleichermaßen gesellschaftliche Differenz anerkennt.
Die Kirche spielt in unserer heutigen politischen Landschaft nur noch eine Nebenrolle. Mit der Säkularisierung ist vieles verschwunden, jedoch nicht die Idee vom richtigen Leben in der Politik. Diese findet sich in Parteien mit klarem ideologischen Fundament. Namentlich bei den Christdemokraten und den Grünen. Was bei der CDU das „christliche Fundament“ ist, nennt sich bei den Grünen „ökologisch-sozial“. Beiden ist gemein, dass sie davon ausgehen, dass es möglich ist, sich als Person für einen richtigen Lebensstil zu entscheiden: Als frommer Christ, oder als Alternativer.
Die Monarchie ist in Deutschland seit dem Ende des zweiten Weltkrieges Geschichte. Nicht jedoch die Abschottung von Eliten gegenüber dem Aufstieg anderer. Zentral hierfür ist das Erbe. Wurden in Kaiser- und Königszeiten noch ganze Landstriche und Bevölkerungsmassen vererbt, so sind es heute Bankanteile und Firmenimperien, Aktienpakete und Angestelltenmassen. Damit wird nicht nur Kapital, sondern auch Zugang zu Entscheiderkreisen und politische Macht vererbt. Eine Monarchie des Reichtums. Seltene Aufsteiger stehen dieser Analogie nicht entgegen, denn auch zu monarchischen Zeiten gab es den einen oder anderen Aufsteiger wider das System. Es zählt der Trend.
Repräsentiert wird diese monetäre Erbmonarchie heute am stärksten von der FDP, die jeden Einschnitt in die Vermögensmasse der Reichen zu verhindern ersucht und die den Angriff auf das Erbe unter dem Schlagwort „Mehrfachbesteuerung“ als eine denkbar große Ungerechtigkeit geißelt.
Der Gedanke, dass gesellschaftliche Ungleichheit hingenommen werden muss, gehört zum politischen Mainstream in Deutschland. Wer das passende Fach studiert hat, darf deutlich mehr verdienen als andere, wer mehr arbeitet, darf auch ein größeres Haus besitzen. Im Kern stellt sich diesem Mainstream nur DIE LINKE entgegen, indem sie – aus verfassungsrechtlichen Gründen zwar nicht absolut – aber doch intensiv eine Angleichung der Löhne propagiert.
Und wer bleibt übrig? – Die SPD.
Die Sozialdemokraten haben sich schon lange von dem Gedanken verabschiedet, dass die Gleichheit aller Löhne in Deutschland erreicht werden kann. Damit gaben sie zentrale Teile ihrer Ideologie auf. Fragt man einen Sozi nach dem Markenkern der SPD, so kommt allenfalls noch ein „wir sind für die kleinen Leute da“ heraus, jedoch keine geschlossene Konzeption vom richtigen Leben. Autofahren ist in Ordnung, S-Bahn auch, Kirche okay, Atheismus auch.
Kern der sozialdemokratischen Programmatik sind der „Aufstieg durch Bildung“, die Frauenquoten, die Arbeitnehmerrechte gegen über den Eigentümern und dem Management. Ein ganzes Programm, das dazu dient die gesellschaftliche Durchlässigkeit zu erhöhen, nicht jedoch die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen. Der Leitsatz „Fördern und Fordern“ der Hartz-Gesetze spiegelt genau diese politische Linie.
Am Ende bleibt nur die SPD als liberale Partei. Das Drama ist jedoch, sie will so etwas gar nicht sein. Das Risiko, das darin liegt ist immer, dass nur die wenigen Aufsteiger in einer starren Gesellschaft die Liberalen wählen, die Masse jedoch die Ideologen. Glück auf!