Poschardt, FAZ und Metternich: Unfug zum Weihnachtsfest
„Kein Kirchgang zu Weihnachten“ titelt die Frankfurter Allgemeine. Auf katholisch.de findet sich ein Standpunkt mit dem Titel „Kirche im Absturz“ und auf twitter nölt der Chefredakteur DER WELT „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?“. – Ich widerspreche. Weiterlesen »
Lesen, verstehen, schreiben
„Erst lesen, dann verstehen und schließlich schreiben“ möchte man dem Überschriften-Redakteur der FAZ zurufen. Klar, seine Schlagzeile „Kein Kirchgang an Weihnachten“ bringt deutlich mehr Klicks als das deutlich korrektere: „Vier mal mehr Kirchbesucher an Weihnachten als sonst“ oder „Weihnachten Kirche so voll wie gewohnt“. Denn das ist es, was in dem Artikel steht. Nur ein Fünftel aller Deutschen plante eine Woche vor dem Fest, in den Weihnachtsgottesdienst zu gehen. Das beinhaltete alle Atheisten, alle Anhänger anderer Religionen, alle Ausgetretenen und Menschen, die niemals Mitglied waren, alle im Krankenhaus liegenden, alle Verreisten und alle völlig passiven Mitglieder der christlichen Kirchen. Ein Fünftel aller Deutschen – 16 Millionen Menschen – geht an Weihnachten in die Kirche. Eigentlich eine Sensation.
Anlass für diesen Artikel ist eine „Sensations-Story“ der BILD vom 17.12.2017. Diese lautet: „Nur jeder Fünfte will Weihnachten in die Kirche“. Das entscheidende an dieser Meldung ist das Wort „nur“. Als könnte man ernsthaft mehr erwarten. Im Detail sind die Zahlen dann noch extrem viel besser. „Nur“ 43 Prozent der befragten evangelisch-freikirchlichen Christen, 36 Prozent der römisch-katholischen Christen und 31 Prozent der evangelisch-landeskirchlichen Christen gaben an, sie würden den Weihnachtsgottesdienst dieses Jahr besuchen. Das sind vergleichsweise wahnsinnig gute Zahlen. Nur 5% der evangelischen und 10% der katholischen Christen kommen sonst Sonntags in die Kirche. Weihnachten zieht also wie eh und je, die Kirchen waren dann Weihnachten auch – wie laut diesen Zahlen zu erwarten war – komplett überfüllt.
Was bei der FAZ passiert, ist der verzweifelte Versuch, die sensationsheischende Meldung der BILD noch zu toppen. Aus dem dreisten „nur jeder Fünfte“ aus dem Axel-Springer-Haus wird in Frankfurt dann „Kein Kirchgang an Weihnachten“ – die Erzählung vom kompletten Kontrollverlust der Kirchen über das Weihnachtsfest war geboren, aber noch lange nicht zu Ende erzählt.
Wenn Du glaubst, man kann nicht tiefer sinken…
Die Schaumschlägerei von BILD und FAZ verteilt sich wie üblich in der heutigen Medienwelt quer über alle Zeitungsseiten. Verbreitet noch zusätzlich von Nachrichtenagenturen. Darunter, man mag es kaum glauben, die kircheneigene Katholische Nachrichtenagentur (KNA). Aua, das tut weh.
Den vorläufigen Tiefpunkt erreicht die Debatte dann mit Monika Gräfin Metternich. Sie ist Religionspädagogin und ergreift auf katholisch.de, dem offiziellen Portal der katholischen deutschen Bischofskonferenz das Wort mit dem Titel: „Kirche im Absturz“. Sie spricht von schockierenden Zahlen. Ihr erster Satz lautet: „Es war schon eine schockierende Zahl, die da kürzlich die Runde machte: Mehr als jeder zweite Deutsche (55 Prozent, die Zahl derer, die sich in der BILD/INSA-Umfrage bereits eine Woche vor dem Fest sicher waren, nicht in die Kirche zu gehen) wird an Weihnachten keinen Gottesdienst besuchen.“ – Wahnsinn, wie schockierend. 40% der Deutschen sind nicht mal auf dem Papier Christen. Was zur Hölle sollen die denn in einem Weihnachtsgottesdienst?
Noch abstruser wird es jedoch, als die Gräfin beginnt die Zahl von „55% gehen nicht in den Gottesdienst“ mit der Zahl der Katholiken zu vergleichen. Sie schreibt wörtlich: „Schaut man sich die Zahlen bei den Katholiken an, sieht es kaum besser aus: Nur ein gutes Drittel (36% Prozent) von ihnen plant, zu Weinachten eine Messe zu besuchen.“ Was genau soll jetzt besser an 36% im Verhältnis zu dem zuvor zitierten Rest von 45 Prozent sein?
Dem völlig wirren Zahlenspiel von Monika Gräfin Metternich folgt dann die übliche Generalabrechnung mit der Kirche: Kirchen werden geschlossen, Kirchengemeinden zusammengelegt und in der Kirche hätten längst die Unternehmensberater das Ruder übernommen. Insgesamt fehle es an Glaube und da müsse man jetzt endlich mal drüber reden.
Ironischerweise liefert die Religionspädagogin und Autorin damit ein wunderbares Beispiel, warum der katholischen Kirche manchmal wie beispielsweise aktuell im Bistum Hamburg Unternehmensberater gut tun. Die können nämlich im Gegensatz zur Gräfin grob Zahlen und Statistiken lesen und daraus Schlüsse ziehen. Mit der Analysekompetenz von Beratern wie Gräfin Metternich landet man eben wie in Hamburg in der Existenz- und Überschuldungskrise.
Jetzt kommt Poschardt – Der Meinungsmacher
Der Boden war bereitet. Startend mit der BILD am Montag vor dem Fest, gefolgt von den Online-Angeboten aller deutschen Zeitungen und befeuert durch unterirdische Kommentierungen auf katholischen Seiten kam, was kommen musste: Ein Meinungsmacher.
Ulf Porschardt – seines Zeichens Chefredakteur DER WELT, dem konservativen Flagschiff unter den Online-Angeboten. Ein Mann, der täglich aufs neue beweist, dass er streitfreudig und pointiert ist, keine Welle auslässt und diese so zuspitzen kann, dass sich alle über ihn aufregen. Er witterte seine Gelegenheit am Heiligen Abend um 20.48 Uhr – offensichtlich nach einer überraschend früh stattfindenden Christmette. Seine Erklärung dafür, warum keiner kommt: Die Kirchen sind zu links.
Sicher wie das Amen in der Kirche folgte der Widerstand. Aufgebrachte Theologen, aufgebrachte Sozis, aufgebrachte Grüne – überhaupt jeder links-kritische Geist stürzte sich auf Poschardt. Dazu die applaudierenden Reihen der Konservativen mit ihrem üblichen argumentfreien „Genau so isses!“ und ihrem „Endlich spricht es einer aus!“. Poschardts Meinung machte mal wieder die Runde.
Die schönste Ironie: Ausgerechnet die FAZ veröffentlichte dann die Replik der Bundessprecherin der Grünen Jugend Ricarda Lang – selbstverständlich ohne Reflektion über die eigene Rolle in der ganzen Geschichte. Klicks sind eben Klicks. Ob von Links oder Rechts, das ist doch egal.
Weil nun Poschardt es aber mal wieder geschafft hat, sich in den Mittelpunkt zu spielen, möchte ich ihm dennoch widersprechen. Denn die These, die seinem Tweet zu Grunde liegt, ist auf den ersten Blick verführerisch: „An Weihnachten wünschen die Leute keine Politik im Gottesdienst. Sie wünschen Harmonie“.
Diese These ist deshalb so verführerisch, weil sie für einen großen Teil der Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes tatsächlich stimmt. Was Poschardt verkennt – oder bewusst ignoriert – ist, dass auch die Harmonie politisch ist.
Denn das nicht-Aussprechen von Problemen und Perspektiven ist eine eigene politische Haltung. Es ist die Haltung des Bestätigens der Ungleichheit und des ungerechten Zustandes. Harmonie ist durch und durch konservativ. Das Schweigen um der Harmonie Willen sagt laut ja zum Status quo.
Daher ist die Frage, ob eine Weihnachtspredigt harmonisch sein darf durchaus berechtigt. Wenn der Status Quo im Sinne des Weihnachtsfestes besteht, dann darf die Predigt harmonisch-versöhnlich den Schulterschluss mit der Gesellschaftsordnung suchen. Dann gilt es genau diese Ordnung zu konservieren. Ist dies nicht der Fall, dann muss diese Predigt konfrontativ sein. Dann gilt es, die Gesellschaftsordnung zu verändern.
Zur Klärung dieser Frage gibt es zwei Grundsatzfragen an die Gesellschaftsordnung, die sich im Lichte der Weihnachtsgeschichte reflektieren lassen:
- Wie steht unser Land zu den Armen? – Denn Gott kam im Stall und umringt von ärmsten Hirten zur Welt.
- Wie steht es um die von Gewalt bedrohten? – Denn Jesus wurde durch Herodes verfolgt und seine Eltern flohen nach Ägypten.
Beantwortet man diese beiden Fragen für sich, dann weiß man, welche Weihnachtspredigt gerechtfertigt ist. In den Augen Poschardts mag dies durchaus eine Harmonische sein. Denn er findet, dass mit Mindestlohn und Rente ab 63 und dem gesamten Sozialstaat wahrlich genug für die Armen getan wird.
Vielleicht findet Poschardt auch, dass die Situation von Geflüchteten in Deutschland akzeptabel ist. Ich sehe beides anders.
In einer Zeit, da wir in Deutschland über eine Obergrenze für Asyl sprechen und in einer Zeit, da die soziale Spaltung zwischen Extremreichen und Armen in der Gesellschaft immer mehr zu nimmt, sollte doch mindestens der Kirche die Rolle zugestanden werden, diese Zustände kritisch anzumahnen. Letztendlich liegt der Auftrag zu dieser Mahnung in der Menschwerdung Jesu im Kreise der Ärmsten der Armen begründet. Und ganz ehrlich, die Kirchen können sich diese Kritik auch wahrlich leisten – denn allen Zeitungsmeldungen zum Trotz: An Weihnachten sind Kirchen voll.
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